88 Tage Stromausfälle und eine Nation, die in der Dunkelheit versinkt
In den letzten drei Monaten mussten Ecuadorianer*innen täglich landesweit bis zu 14 Stunden ohne Strom auskommen. Die Stromkrise verschärfte wirtschaftliche und soziale Probleme im Land, rief Proteste hervor und verschlechterte die sowieso bereits angespannte Sicherheitslage, während die ecuadorianische Regierung ihre*n Energieminister*in ganze vier Mal austauschte. Ecuador bezieht etwa 90 Prozent seiner Energieversorgung aus Wasserkraftwerken (BBC), eine Stromquelle, die durch die schlimmste Dürre seit über 60 Jahren an ihre Grenzen stieß. Gleichzeitig sorgten fehlende Investitionen und ein schlechtes Energiemanagement von Seiten der Politik für die Stromprobleme. Auch wenn der Regen in Ecuador wieder einsetzt, bedeutet das langfristig nicht unbedingt, dass sich die Lage bessert. Es wären große Investitionen nötig, um die eindimensional ausgerichtete Energieversorgung zu diversifizieren und nachhaltige Stromquellen wie Solarenergie, Geothermie oder Windkraft zu erschließen. Der Sparkurs der neoliberalen Regierung, der seit Jahren dabei ist staatliche Strukturen zurückzubauen und die hohe Auslandsverschuldung beim IWF lassen solche Vorhaben kaum zu. Gleichzeitig führen die Stromausfälle zu hohen wirtschaftlichen Einbußen. Die ecuadorianische Zeitung „Primicias“ spricht von einem Verlust, der etwa 1,5 Prozent des BIP ausmacht (Primicias). Die Präsidentin des ecuadorianischen Wirtschaftskomitees, María Paz Jervis warnte im November vor von einem Umsatzrückgang von 20 Prozent und Verlusten von 4 Milliarden US-Dollar (Amerika 21).
Abseits des BIP versuchen die Ecuadorianer*innen mit den durch die Stromausfälle verursachten Auswirkungen auf den Alltag umzugehen. Das bedeutet unter anderem, dass überlebenswichtige Behandlungen in Krankenhäusern bspw. bei Dialysepatient*innen betroffen sein können (BBC). Dass die Versorgung mit Trink- und Leitungswasser unterbrochen wird. (Amerika21.2). Dass in der Dunkelheit ein erhöhtes Risiko besteht, Raubüberfällen oder anderen Verbrechen zum Opfer zu fallen. Dass täglich das Internet ausfällt, teilweise sogar Telefonanrufe unmöglich werden. Dass zentrale Bestandteile des Alltags, wie arbeiten, Wäsche waschen oder kochen auf die wenigen verbleibenden Stunden mit Stromversorgung gelegt werden müssen. Dass das Essen im Kühlschrank verdirbt, man nach Sonnenuntergang kaum mehr das Haus verlassen kann und bei Kerzenschein in der Dunkelheit sitzt. Die Stromausfälle variieren nach Sektoren, sodass in Guayaquil in einem Viertel der Strom laufen kann, während ein anderes bereits vom „recorte“ betroffen ist. Meist gibt die Regierung zu Beginn der Woche einen Plan mit den Zeiten der Stromausfälle bekannt. Eingehalten wird dieser jedoch nicht immer.
Auch der Alltag in Clave de Sur hat sich durch die Stromausfälle drastisch verändert. Instrumente wie E-Piano, E-Gitarre oder Bass sind genauso betroffen, wie der Unterricht nach Sonnenuntergang. Im letzten Unterrichtsprozess hat das dazu geführt, dass deutlich weniger Bandproben stattfinden konnten. Auf Grund verstärkter Unsicherheit haben sich nur wenige Schüler*innen zum Musikunterricht angemeldet. Die Lebensqualität der Menschen im Guasmo Sur hat sich durch die Stromkrise weiter verschlechtert.
Der Präsident Daniel Noboa hat versprochen, dass es ab dem 20. Dezember keine Stromausfälle mehr geben soll. Die Menschen in Guayaquil sind skeptisch, ob dieses Versprechen eingehalten werden kann (extra.ec). Wenn Regierungen und Strukturen versagen, muss Selbstorganisation gestärkt werden! Dass sich trotz der schwierigen Lage immer noch viele Menschen in der Musikschule engagieren ist ein gutes Zeichen. Als Musiker ohne Grenzen – Guayaquil e.V. müssen wir jetzt überlegen, wie wir die Engagierten vor Ort langfristig unterstützen können. Eine mögliche Lösung könnte die Installation von Solarzellen auf dem Dach der Bürgerinitiative Mi Cometa sein. Dieses Vorhaben wäre in Ecuador allerdings sehr kostspielig. Musik, Theater, Tanz und die daraus entstehende Gemeinschaft können zwar keinen Strom generieren, aber ein bisschen Hoffnung und Abwechslung in einen von Dunkelheit geprägten Alltag bringen.
Quellen: